Mehr Ansehen für die OGS
Wöchentliche Teamsitzung des Offenen Ganztages an der August-Hermann-Francke-Schule in Waltrop. Sieben pädagogische Mitarbeiterinnen besprechen, was anliegt: Die Hausaufgabenbetreuung entfällt heute wegen des Elternsprechtages, sodass die Kinder früher zum Essen und in die Betreuung kommen. Drei der regulär 13 Mitarbeiterinnen sind krank, eine hat Urlaub, eine weitere Kollegin muss an diesem Tag früher gehen. Susanne Kremer bespricht mit dem Team, wer ab wann in welcher Gruppe ist.
Mit ihrem Team, darunter zwei Hauswirtschaftskräfte, für derzeit 140 Kinder im Offenen Ganztag, sei die August-Hermann-Francke-Schule vergleichsweise gut ausgestattet – so gut, dass Kolleginnen zeitweise in anderen Schulen aushelfen müssen, wenn es dort aufgrund von Personalausfällen zu Engpässen kommt. Auch das steht bei der Sitzung auf der Agenda. Für jeden Wochentag findet sich schließlich eine Kollegin, die im Fall der Fälle einspringen kann.
Vielerorts konnten Personal, Räume und Ausstattung im Offenen Ganztag nicht oder kaum mit dem steigenden Bedarf an Plätzen mithalten, berichtet Susanne Kremer. Dieser kannte in den vergangenen Jahren nur eine Richtung, stieg vom letzten auf dieses Jahr um gut 30 Plätze und im nächsten nochmal um rund 40 Plätze auf dann 184 OGS-Schüler – Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels und des Bestrebens nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Geschlechtergerechtigkeit. „Der Wandel ist da und die OGS viel anerkannter als noch vor einigen Jahren“, konstatiert die gelernte Erzieherin mit 22 Jahren OGS-Erfahrung. Die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung im Jahr 2026 sei ein richtiges und wichtiges Zeichen, findet die 56-Jährige. Bisher konnte der Bedarf zumindest in Waltrop immer gedeckt werden, aber das Ende der Fahnenstange sei noch nicht erreicht.
Dass in vielen Offenen Ganztagsschulen Personal knapp ist, hat in Susanne Kremers Augen auch damit zu tun, dass die pädagogische Arbeit dort noch nicht den Stellenwert genießt, den er haben sollte, und die Arbeitsbedingungen besonders für junge Fachkräfte oft unattraktiv sind. Teilzeitstellen sind die Regel, das Einkommen damit für eine Familie meist nicht auskömmlich. Und da immer noch viele Frauen zugunsten der Kinderbetreuung nicht voll arbeiten, scheint es kein Zufall, dass in der OGS-Teamsitzung ausschließlich Mitarbeiterinnen sitzen. Wie Susanne Kremer sind alle, mit Ausnahme der beiden Praktikantinnen, mittleren Alters. Die Teamleiterin ist nach der betreuungsintensivsten Zeit der eigenen Kinder wieder in den Beruf eingestiegen – zunächst nur stundenweise und auch aktuell trotz Leitungsaufgaben nur mit 32,5 Stunden pro Woche. In der Elternschaft scheint es häufig ähnliche Konstellationen zu geben. Dafür spricht, dass der Betreuungsbedarf nach 15 Uhr deutlich nachlässt, auch wenn vielleicht zunehmend Väter im Beruf kürzertreten, um die Kinder abzuholen und Zeit mit ihnen zu verbringen.
Viele Eltern wünschten sich gleichwohl mehr Flexibilität bei den Bring- und Abholzeiten – etwa, wenn sie eine Stunde eher Feierabend haben, berichtet Susanne Kremer. „Das geht natürlich nur sehr begrenzt, da das einfach zu viel Unruhe in die Abläufe bringt und die gesetzlich geforderte Mindestanwesenheit einzuhalten ist.“ Oft sei dies aber auch Ausdruck eines unbegründeten schlechten Gewissens und des Impulses, das Kind „vor der OGS retten zu müssen“, wann immer es geht. Dabei sei gerade die letzte Stunde von 15 bis 16 Uhr die schönste für die Kinder. „Die genießen das richtig“, beobachtet Kremer. Auch sei die OGS ein Ort, der die sozialen Unterschiede ein Stückweit ausgleichen kann, findet sie. Dazu gehöre etwa die Möglichkeit, die Hausaufgaben mit Hilfestellung in der Schule zu erledigen oder auch an Angeboten wie Schachgruppe, „Tanzalarm“ oder „Bücherwurm“ teilzunehmen.
Der Bewusstseinswandel in Bezug auf neue Familienmodelle und die Ganztagsbetreuung ist also durchaus noch im Gange. Das treffe auch auf die Politik zu, die die OGS lange „gar nicht auf dem Schirm“ hatte, so Kremer. Für attraktivere Arbeitsbedingungen, mehr Personal, Räume und bessere Ausstattung müsste sie die richtige Weichen stellen: „Es fehlt eine gesetzliche Grundlage für die OGS mit klaren Qualitätsstandards, aber auch mit Regelungen zur Finanzierung.“ So hänge die Ausstattung einer OGS auch von der Finanzlage der jeweiligen Kommune ab. Die Teamleiterin unterstützt daher die AWO-Forderung, dass Bund, Länder und Kommunen angesichts großer regionaler Ungleichheiten bei Finanzierung, Standards und Strukturen gemeinsam Verantwortung für eine qualitativ gut ausgestattete Ganztagsschule übernehmen. Das Ziel sei eine bundesweit chancengerechte Nutzung der OGS.
Dann wären vielleicht auch mehr Vollzeitstellen möglich: Erzieher, die bereits vormittags mit im Unterricht sind und eine engere Verzahnung von Schule und OGS erlaubten. Vorerst kommt die aber nur räumlich gesehen: Ab dem nächsten Schuljahr hat die August-Hermann-Francke-Schule 40 OGS-Schüler mehr, aber einen OGS-Raum weniger, sodass der Nachmittagsbereich die regulären Klassenräume wird mitnutzen müssen.
INFO
OGS August-Hermann-Francke-Schule
Susanne Kremer
Hafenstraße 76
45731 Waltrop
Tel.: 02309 785768
Dieser Artikel stammt aus unserem Magazin „AWO erleben!“. Die gesamte Ausgabe steht hier zum Download bereit.