Manchmal möchte man sich einfach auch mal umarmen
Die neunjährige Eva schneidet konzentriert eine bunte Papierkerze aus. „Die ist für unseren Adventskalender“, erklärt sie. Daneben liegt ein Blatt mit selbstgemalten Flammen unterschiedlicher Formen und Farben. Am Fenster klebt bereits ein Dutzend ausgeschnittener Kerzen. „Jeden Tag ‚zünden‘ wir eine Kerze an.“
16 Kinder der 4a tummeln sich in dem Gruppenraum im Erdgeschoss der Grundschule Sythen in Haltern. Fünf Jungs stehen um zwei Laptops an der Wand und lernen mit Scratch einfaches programmieren. Einige andere Kinder basteln oder malen. Auf dem gemütlichen, roten Lesesofa sitzt die ebenfalls neunjährige Emilia und liest. „Die wilden Schwäne“ steht auf dem Buchdeckel. Zwischendurch schaut das Mädchen mit den langen braunen Haaren ein wenig sehnsüchtig aus dem Fenster. Auf dem Schulhof regnet es in Strömen. „Bei gutem Wetter spiele ich am liebsten draußen“, sagt sie. „Da treffe ich dann meine Freunde aus den anderen Klassen.“ Sie und ihre Klassenkameradin Eva finden schade, dass sie diese derzeit nicht im Gebäude besuchen oder in den regulären Pausen treffen können. Denn dort dürfen auch im Vormittagsbereich nicht mehr alle Kinder gleichzeitig auf den Schulhof.
Und nachmittags? „Normalerweise können die Kinder im OGS-Bereich frei wählen, in welchem Raum sie sich aufhalten möchten“, erklärt Andrea Fohrmann, Leiterin des OGS-Teams. Nun müssten die Kinder im Klassenverband und bei den unteren Jahrgängen stufenweise zusammenbleiben. Dafür kann auf eine Maskenpflicht in den Gruppen verzichtet werden. Nur auf den Fluren und draußen auf dem Schulhof müssen die Kinder Mund-Nasenbedeckung tragen. „Das mit den Masken war am Anfang ungewohnt und doof“, findet Emilia. Aber nun habe sie sich daran gewöhnt und findet die Masken jetzt, wo es kälter ist, sogar „schön warm“. Trotzdem: Gerade beim Rausgehen seien die Masken „ätzend“. Klassenkameradin Eva nickt und ergänzt: „Man vergisst die manchmal. Und man erkennt manche Kinder nicht sofort.“ „Manchmal möchte man sich auch umarmen“, sagt Emilia. „Aber das darf man ja momentan nicht.“
Für die OGS-Teamleiterin Andrea Fohrmann bedeuten die festen Gruppen mehr Planungsaufwand für ihr 15-köpfiges Team und eine dünnere Personaldecke. „Solange niemand ausfällt, geht das gerade noch so, aber sonst wird es schwierig.“ Die gelernte Erzieherin ist froh, dass sie von derartigen Ausfällen bisher weitgehend verschont geblieben ist. Eine weitere Herausforderung: „Da die OGS Räume bewusst jeweils mit unterschiedlichen Spielmöglichkeiten für die Kinder ausgestattet sind, ist der Bedarf an Spielzeug nun gewachsen, da wir etwa nicht in allen Räumen beispielsweise alle Brettspiele haben.“ Da habe der Unterbezirk geholfen und Mittel für zusätzliche Anschaffungen bereitgestellt. Jeder Raum hält nun ein möglichst breit gefächertes Angebot für die Kinder bereit. So wurde neues Rollenspielmaterial bereitgestellt und zwei neue Kettcars angeschafft. Für die Kinder wird sogar ein „Kettcar-Führerschein“ angeboten – ein kleiner Ersatz für die vielen ausgefallenen AGs. Weil die nicht mehr stattfinden, verbringen die Kinder nun noch mehr Zeit in den Gruppen. „Wir tauschen uns in den Teamsitzungen stärker über Spiel- und Bastelideen aus, um die Kinder bei Laune zu halten“, so Fohrmann. Die machten aber insgesamt alles total gut mit.
Räumlich habe sich speziell für die Viertklässler recht wenig geändert, weil die schon vor Corona übergangsweise in zwei eigene Räume im Erdgeschoss ausgelagert waren. Die anderen drei Gruppen sind im Untergeschoss untergebracht. „Ursprünglich hatte man für 50 OGS-Kinder geplant“, sagt Andrea Fohrmann. Nun seien es mehr als doppelt so viele. Vier OGS-Gruppen gibt es an der Schule, für jeden der zweizügigen Jahrgänge eine. Ein Neubau soll Platz für zwei weitere Klassenräume schaffen, sodass der Ganztagsbereich perspektivisch wieder zusammengelegt werden kann.
Der neunjährige Stephan, der im Klassenraum nebenan noch seine Hausaufgaben erledigt, hat sich an den neuen Ablauf in der OGS gewöhnt und fühlt sich durch Corona insgesamt nicht so sehr eingeschränkt. Nur eines störe ihn: das ständige Hände-Desinfizieren. „Das stinkt immer so.“ Und so sind sich am Ende doch alle einig in einem Wunsch, den Emilia auf den Punkt bringt: „Wir wünschen uns, dass Corona weggeht.“
Auf dem Schulhof ist inzwischen wieder die Sonne rausgekommen und einige Kinder spielen bereits auf dem Klettergerüst. Und so streift auch Emilia Jacke und Maske über und verschwindet schnell nach draußen, um noch ein wenig mitzuspielen – zwar ohne Umarmungen, aber besser als gar nicht.