Das Ziel ist definiert
AWO erleben: Weshalb hat sich der Unterbezirk für ein Nachhaltigkeitskonzept entschieden?
Melanie Angermund: Die Notwendigkeit nachhaltigen Handelns kann niemand mehr ernsthaft anzweifeln. Global war der Juli der heißeste Monat aller Zeiten. In Deutschland lag die Durchschnittstemperatur etwa 0,75 Grad höher als in der Referenzperiode von 1981 bis 2010. Zweites Beispiel: Allein der Hersteller Tetra Pak verkaufte im vergangenen Jahr 193 Milliarden Verpackungen, die einer der wesentlichen Treiber des gesamten Rohstoffverbrauchs sind. Auf sie entfallen 40 Prozent der Kunststoffe und 50 Prozent des Papiers in der EU. Ohne Änderungen, so hat die EU-Kommission errechnet, würde der Verpackungsmüll bis zum Ende des Jahrzehnts um ein weiteres Fünftel zunehmen, der Verpackungsmüll aus Kunststoff sogar um 46 Prozent.
AWO erleben: Fünf Jahre haben Sie sich für die Konzeptentwicklung Zeit genommen – das ist ein sehr langer Zeitraum ob der drängenden Herausforderungen, die sich durch die Klimakrise ergeben.
Melanie Angermund: Wenn man sich gemeinsam auf eine äußerst beschwerliche, langwierige Reise begibt, ist es hilfreich, wenn Einigkeit über das Ziel besteht. Man kann über alles reden: Reiseroute, Transportmittel, Budget. Aber wenn der eine nach Australien will, die andere nach Kanada und der Dritte am liebsten zurück nach Hause, stehen die Chancen schlecht, dass irgendjemand dort ankommt, wo er mal hinwollte.
AWO erleben: Klimaneutralität bis 2040 haben sie für den Unterbezirk als strategisches Ziel definiert. Das darf man durchaus ambitioniert nennen, oder?
Melanie Angermund: Deutschland strebt die Klimaneutralität bis 2045 an. Dieses Ziel ist nicht das Hobby der Bundesregierung oder eines einzelnen Ministers. Das haben sich auch nicht irgendwelche Ideologen ausgedacht, sondern steht so im Klimaschutzgesetz. Zur Erinnerung: Das Zieljahr 2045 kam ins Gesetz, nachdem das Bundesverfassungsgericht die frühere, weniger strikte Version als in Teilen grundgesetzwidrig eingestuft hatte. Unser Ziel ist angelehnt an die selbstgesteckten Vorgaben des AWO Bundesverbandes. Ich bin davon überzeugt, wir schaffen das.
AWO erleben: Und wie?
Melanie Angermund: Wir belassen es nicht nur bei einem strategischen Ziel, sondern haben auch die ersten Schritte auf dem Weg definiert. In jährlichen Maßnahmeplänen werden diese Schritte mit kurzfristigen und verbindlichen Zielen präzisiert.
AWO erleben: Über Sinn und sogenannten Unsinn einzelner Maßnahmen wird durchaus kontrovers diskutiert. Stichwort: Klimafußabdruck in der Herstellung umweltfreundlicher Technologien.
Melanie Angermund: Wir konzentrieren uns in unserem Veränderungsprozess auf die Emissionen, die wir durch unsere Arbeit verursachen. Ein Beispiel: Die Nutzung eines E-Fahrzeugs reduziert den CO2-Ausstoss der Unterbezirks-Fahrzeugflotte um 125 Gramm pro Kilometer. Der Fuhrpark des Unterbezirks umfasst 198 Fahrzeuge. Pro Jahr könnten wir rund 400 Tonnen CO2 einsparen. So beleuchten wir neben dem Handlungsfeld Mobilität auch unsere Liegenschaften, den Strom-Verbrauch und unsere zukünftige eigene Strom-Erzeugung. Beim Strom-Einkauf sind wir übrigens bereits seit 2013 klimaneutral, wollen hier aber noch besser werden. Ab 2026 legen wir die Kriterien des Grünen Strom Labels zugrunde. Gesondert betrachten wir die Produkte des Zentralen Einkaufs und das Verpflegungsangebot in den Einrichtungen. Ab 2026 verpflichten wir uns zu mindestens vier vegetarischen Tagen in der Woche.
AWO erleben: Wie wollen Sie ihre Zielgruppen mitnehmen?
Melanie Angermund: Nachhaltigkeit und Klimaschutz sind Themen, die auch unsere Kinder, Kund:innen und Klient:innen beschäftigen. Es ist wichtig, sie zu sensibilisieren und ein ausgeprägtes Bewusstsein für einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen zu schaffen. Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Energiesparen und Müllvermeidung müssen erlernt werden. Diese Lernprozesse sind ein lebenslanger Prozess und gehören in allen Einrichtungen und Diensten zum pädagogischen Alltag. Hier wollen wir eine Plattform mit Best-Practice-Beispielen schaffen.
AWO erleben: 198 neue Fahrzeuge kosten eine ganze Stange Geld. Wie soll das finanziert werden?
Melanie Angermund: Klimaschutz ist bislang nicht in der Finanzierung Sozialer Arbeit abgebildet. Dieser Umstand bremst unsere Bemühungen derzeit noch. Das bestehende Förderprogramm „Klimaanpassung in sozialen Einrichtungen“ der Bundesregierung auf das gerne verwiesen wird, ist nicht der große Wurf. Diese Förderkulisse bietet keine Garantien und umfasst ein geringes Volumen. Nachhaltige und unbürokratische Finanzierungsgrundlagen sollten daher geschaffen werden, um die freie Wohlfahrtspflege in ihren Bemühungen zum Schutz vulnerabler Gruppen zu unterstützen.AWO erleben: Was wäre stattdessen ein Lösungsansatz? Melanie Angermund: In einer kürzlich durchgeführten Umfrage unter allen 400 Kreisen mit einer Beteiligungsquote von 82 Prozent gab die Hälfte der beteiligten Verwaltungen an, dass sie benötigte Schutzvorkehrungen zur Klimaanpassung in den kommenden Jahren voraussichtlich nicht finanzieren können. Wir benötigen soziale, solidarische und gerechte haushalts- und steuerpolitische Maßnahmen. Die politischen Rahmenbedingungen müssen so gesetzt werden, dass wir als gemeinnützige soziale Organisation in die Lage versetzt werden, entsprechende Maßnahmen umsetzen zu können. Hierfür braucht es unbürokratische und zuverlässige Förderprogramme ohne Eigenanteilen.
INFO
Klimaschutz und Nachhaltigkeit
Oliver Mau
Referent der Geschäftsführung
Clemensstraße 2-4
45699 Herten
Tel.: 02366 109113
Dieser Artikel stammt aus unserem Magazin „AWO erleben!“. Die gesamte Ausgabe steht hier zum Download bereit.